Sonntag, 28. Oktober 2007

Hausbesitzen

Wie nimmt man ein Haus in Besitz? Indem man beim Notar einen Kaufvertrag unterschreibt. Indem man auf der Bank einen Darlehensvertrag unterschreibt. Indem man diverse Kosten, Steuern, Zinsen auf sich lädt und für den Rest des Lebens arbeitet und abzahlt.

Am Anfang, Ende August oder in den ersten Septembertagen, nachdem die Maler ein Zimmer nach dem anderen frisch tapeziert und gestrichen hatten, dachte ich, ich würde das Haus, das heißt: die beiden Häuser, die sich Rücken an Rücken lehnen wie siamesische Zwillinge und sich gleichen wie ein Spiegelbild (siehe „Wir in Venedig“), in Besitz nehmen, indem ich sie putze. Indem ich jeden Millimeter Wand, Boden, Decke, Fenster- und Türrahmen, Treppenstufe, Treppenabsatz und Treppengeländer und so weiter und so fort mit einem feuchten Lappen berühre und scheuere, bis er glänzt. Indem ich den Staub der Handwerker, der Zeit und des Lebens für einen Moment entferne. Und für einen Moment der Illusion erliege, ich besäße ein sauberes Haus. Heute weiß ich, dass ich damals, am Anfang, als unsere Möbel und Bücher noch lange in Berlin standen, überhaupt nichts besaß. Dass ich, wenn überhaupt, höchstens einen Eindruck, der sich beim ersten Windstoss von der Nordsee schon wieder verflüchtigte, in Besitz genommen hatte. Den Dachboden, beide Dachböden, hatte ich nicht einmal betreten. Spinnen sind hier tatsächlich fleißiger als Ameisen.

Heute ist der längste Tag des Jahres. Gestern fegten wir den ganzen Tag Laub zusammen und trugen Äste und Gestrüpp auf mehrere Haufen. Wir besitzen nicht nur zwei Häuser sondern auch zwei Gärten. Die Häuser waren getrennt durch eine Brandmauer. Und die Gärten waren getrennt durch einen Sichtschutz. Grün und wild, verwuchert. Ich warte auf meinen Bruder, den Gärtner, aus der Schweiz. Dann liefere ich sämtliche Pflanzennamen nach. Wir wollen einen Bambuswald und einen Teich anlegen. Ein Kunstwerk bauen, oder mehrere. Um unser Haus herum. Dazu müssen wir zuerst das feuchte Laub in Müllsäcke stopfen. Das Gartengerät sichten. Jeden Millimeter des vermoosten Rasens durchkämmen. Den Apfelbaum schütteln. Die dreieckigen Kastanien auflesen. Angeblich kann man sie essen. Aber wie?

Wie nimmt man ein Haus in Besitz? Indem man ein Wochenende lang versucht, dem Herbst Herr zu werden. Oder Frau. Ich weiß es nicht. Auch die Dachrinnen wollen vom Laub befreit werden. Schwiegermutter erinnert aus Berlin daran, dass die Tulpenzwiebeln vor dem ersten Frost gesteckt werden müssen. Die Birke verliert die Blätter zuletzt, warnte uns die zweite Frau des letzten Besitzers des einen Hauses. Das ist doch herrlich, dachte ich. Damals, im August oder Juli. Der Mann, der uns das Darlehen für den Kauf zweier Häuser, zweier Gärten, zweier Garagen usw. gewährte, klärte mich auf: in dieser Gegend gilt die Birke als Unkraut.

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