Samstag, 10. November 2007

Die Postkartentasche

Wir feiern 167 Monate Ehe. W. schenkt mir eine Postkartentasche. Ein Mitbringsel aus New York. Ich schenke ihm 4 Tafeln Schokolade der Marke „Tourist“. Ein Mitbringsel aus der Migros. Nichts erheitert meinen Mann mehr, als die „Tourist“, die weltweit nur von der Migros verkauft wird. Sie war gerade im Sonderangebot. So wählte ich zwei Milchschokoladen „Tourist“, eine Zartbitter-Schokolade „Tourist Crémant“ und eine weiße Schokolade „Tourist Blanca“ und sparte 60 Rappen. Aber ich könnte eine ganze Lastwagenladung „Tourist“ ans Wattenmeer liefern lassen (und dabei wie viel sparen?), W. würde immer noch nicht begreifen, warum diese Schokolade den Namen „Tourist“ in einem relativ altmodischen Design auf der Packung trägt. Die Helvetier hingegen verstehen ihre Welt auf Anhieb: die Schokolade heißt natürlich „Tourist“, weil sie ganze Weinbeeren, ganze Haselnüsse und ganz Mandeln enthält. Mit anderen Worten: all das, was ohne Schokolade im sogenannten „Studentenfutter“ steckt. Seltsamerweise ernähren sich im Alpenland Touristen und Studenten auf ähnliche Art und Weise.
Die Postkartentasche hingegen ist ein Unikat. Verkauft wird sie vom MoMa, dem Museum of Modern Art in NY 10019. Das MoMa beansprucht für sich „modern art“ und „good design“. Es empfiehlt in einer Art „Gebrauchsanweisung“, die Postkartentasche („The MoMa Postcard Tote“) mit Lieblingspostkarten von Lieblingsbildern aus dem MoMa zu bestücken. Sechs Postkarten können auf der einen Seite der Tasche horizontal eingesteckt werden, sechs auf der anderen Seite vertikal. Damit wäre frau dann eine wandelnde Werbeträgerin für ein Museum, bzw. für seine Kunstwerke und deren Schöpfer. Mir sind in Meldorf die Hände gebunden. Ich habe keinen Zugriff auf den New Yorker Museumsshop. Aber aus dem Briefkasten ziehe ich übermorgen eine Postkarte von der Schuhfrau. Im Querlangformat, designed by Think!. Passt leider nicht in die MoMa Tote. Ich müsste einen der drei Bären, die auf der Vorderseite über das Leben philosophieren („Time is only generous to those who are generous to time“), abschneiden. Oder auf der Rückseite unsere Adresse. Beides geht nicht. Jahrelang schrieb ich sogenannte Postkarten aus Berlin. Texte, die nie auf eine Postkarte im Format 4“ x 6“ passen wollten. Sie endeten nie und wucherten weiter und weiter. Bis wir von Berlin wegzogen und dem Überfluss ein natürliches Ende setzten. Ich sammle Postkarten wie Superlative. Wer besitzt schon eine Postkarte aus Tolmicko? Oder vom Golden Cap („Highest Cliff in southern England“)? Oder vom höchsten Postamt der Welt. Von Eiger, Mönch und Jungfrau? Ich stecke die Postkarten aus meiner Sammlung in die MoMaTasche. Da sie aus durchsichtigem Rauchplastik besteht, kommen beide Seiten zur Geltung. Welche Frau kramt nicht andauernd in ihrer Handtasche? Und wer findet dann auf Anhieb über einer veralteten Adresse die Briefmarke von Jacqueline Cochran, „Pioneer Pilot“? Und wer den handschriftlichen Geburtstagsgruß von Rhea: „may you ‚freeclimb’ until your nineties!“?

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