Donnerstag, 30. Oktober 2008

Die Vorletzte Eule

Ich wunderte mich heute früh, dass ich die Letzte Eule vom Schlafzimmerfenster aus sehen kann. Dass sie sich nur noch in Deckung zur Straße bringt. Und mir den unverstellten Rücken, wie zum Abschuss bereit, darbietet. Vielleicht ist sie verzweifelt, denke ich, lebensmüde, absturz- oder selbstmordgefährdet, und laufe in Panik auf die Straße. Vielleicht hat sie strategisch und taktisch bald keine andere Möglichkeit mehr in den blassen Blättern, als in den Tod zu springen. Der Baum wird kahl und kahler. Alles, was die Eule tagsüber zum Überleben braucht - Schutz vor Feinden, damit sie zur Ruhe kommen und schlafen kann -, fege ich seit Tagen, Wochen ungerührt am Boden zusammen. Berge von feuchten, faulenden Ahornblättern türmen sich um meine überquellende Biotonne und bestimmt auch um die unseres Nachbarn, der die gegenüberliegende Straßenseite sauber halten muss.
Vielleicht sollte ich zum Wohle unserer Letzten Hauseule endlich dem Vorschlag meines Kollegen Nazar H., Performativdichter (siehe http://www.leykamverlag.at/www/shop/detail.php?ID=533) und bis vor kurzem Stadtschreiber in Graz (siehe http://stadtschreiber.mur.at/ - nur für literarische Feinschmecker!), folgen und die gefallenen Blätter an Seidenfäden auffädeln und zum Trocknen zurück in die Bäume hängen.

Als ich außer Atem unten ankomme, keuchend und mit ausgebreiteten Armen auf der Straße stehe, wundere ich mich nicht mehr. Eulen wissen sich selbst zu helfen, das sehe ich sofort und lasse meine hilfsbereiten Arme sinken. Eulen sind nicht auf die skurrilen Ideen ost- oder westeuropäischer Dichter und Denkerinnen angewiesen. Unsere Dienstälteste Eule hat nach zwei Tagen Einsamkeit, Schmollerei oder Liebeskummer (was wissen wir schon von Waldohreulenkummer?) ihren Wächter wieder einbestellt. Die Kleine Eule, die Vorletzte - der Partner, Geliebte, Sohn oder untertänige Diener - sitzt ein paar Äste tiefer, richtet die Ohrpinsel auf, Federbüschel, die nichts mit ihrem Hörempfinden zu tun haben, und beäugt argwöhnisch alles (mich!), was sich unten auf der Straße bewegt, damit die Dame oben mit entblößtem Rücken ungestört weiter träumen kann.

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