Donnerstag, 8. Oktober 2009

Der überraschende Tod

Der diesjährige Nobelpreis für Literatur geht an Herta Müller. Eine sehr gute Entscheidung. Eine sehr gute Auszeichnung. Für sehr gute Literatur. Nicht für einen Namen, schon gar nicht für einen Allerweltsnamen wie Müller.
Die Autorin wirkt sprachlos bei der ersten Pressekonferenz. Sie tue nur ihre Arbeit, sagt sie. Der Preis sei für ihre Bücher, nicht für ihre Person. Nichts werde sich für sie ändern durch den Preis, denn: "Meine innere Sache ist das Schreiben."

Vor drei Jahren starb überraschend in einem Frankfurter Hotelzimmer Oskar Pastior. Sein einsamer Tod wird mich nie mehr loslassen, er hat sich unausrottbar festgesetzt in meinem Leben. Manchmal ist das so. Dinge, die überhaupt nicht zusammengehören, nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben, werden zusammengeschweißt. Ziehen sich an wie die ungleichen Pole zweiter Magnete. Da reichen ein paar klare Gedanken. Oder ein kalendarisches Gedächtnis. Gefühlsleere Zufälle. Es war mein Geburtstag, im Radio las Oskar Pastior in der Vorschau auf die Buchmesse und den Büchnerpreis, und in Berlin wurde eine Mörderin verhaftet. Als ich am nächsten Morgen vom Tod Pastiors erfuhr, dachte ich nur an Herta Müller. Ich wusste, dass Herta Müller und Oskar Pastior an einem gemeinsamen Buch arbeiteten. Herta Müller hatte diese Arbeit einmal in einem Couloirgespräch in einen Nebensatz gepackt: "... denn wir schreiben eine Autobiographie zusammen". Mir hatte es damals die innere Sprache verschlagen. Auf so eine Idee müssen zwei Dichter erstmal kommen. Zwei Stimmen, die unterschiedlicher nicht sein können. Pastior und Müller. Respekt! Dann starb Pastior.

Dafür wurde nun Herta Müller der Nobelpreis für Literatur zugesprochen. Für ihre Arbeit. Für ihre Trauerarbeit. Für ihre Leidensarbeit. Für ihr letztes Buch "Atemschaukel". Dafür, dass es ihr gelungen ist, die Leerstelle nach Pastiors Tod kreativ und literarisch aufzufüllen. Dafür, dass sie bereit war, seine Stimme zu hören und seine Hände zu sehen. Dafür, dass sie die "Sprache für das Unsagbare" findet, immer schon gefunden hat und wahrscheinlich in Zukunft weiterhin finden wird. Das Unsagbare versiegt nie.

Vor zwei Tagen gab Herta Müller der Zeit ein Interview. Siehe hier: http://www.zeit.de/kultur/literatur/2009-10/herta-mueller-interview?page=all

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