Sonntag, 28. Februar 2010

Tarragona

Sonntagsausflug in die Hauptstadt der römischen Provinz Hispania Citerior, Stätte des Martyriums von Bischof Fructuosus und seiner Helfer Augurius und Eulogius. Trödelmarkt auf Zweitausend Jahre alten Steinen. Arros negre und Abendlicht über dem Mittelmeer entschädigen für zehn stufige Kilometer. Touristenpflicht erfüllt, mit Arco zurück in die neue Hauptstadt, Stätte des Martyriums von Fernim Romero de Torres.

Samstag, 27. Februar 2010

Tramvia Blau

Barcelona 2: "Im Schritttempo fuhr die Tramvia Blau die Avinguda del Tibidabo bergauf, und man sah über die Mauern hinweg schlossähnliche Villen in Gärten liegen, die ich mir voller Statuen, Brunnen, Stallungen und verschwiegender Kapellen vorstellte. Ich stand auf der einen Seite der Plattform und erkannte zwischen den Bäumen die Silhouette des Turms von El Frare Blanc." (C.R.Z., Der Schatten des Windes)

Freitag, 26. Februar 2010

Die Rolltreppe

Barcelona 1: Wir sitzen im Sand am Meer und laufen durch die Stadt, besichtigen zwei Markthallen, wundern uns über die Preise, kaufen Brot und Wein, fahren auf das Dach der Kathedrale, gewinnen einen ersten Überblick, lernen U-Bahn und Bus fahren. Nach Hause, auf den Berg, an die Suïssa, gelangen wir über eine, eine zweite und eine dritte Rolltreppe. Man isst hier spät. Also auch wir. Mitten in der Nacht im weißen Mönch eine katalanische Vorspeisenplatte, eine Lammkeule, Flan. Der Mann hat schließlich Geburtstag.

Donnerstag, 25. Februar 2010

2 A

Ich fliege auf Sitz 2 A nach Barcelona. W. ist schon heute vormittag auf einem anderen Sitz in einer anderen Maschine nach Barcelona geflogen.
Er erwartet mich am Flughafen mit den Schlüsseln zur Wohnung an der Carrer de Suïssa 13.
Wenn das kein Glück ist.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Die Brücke

Bevor er wegfuhr mit dem ersten Zug am Montag früh, erzählte mir W. eine Geschichte. Und die ging so:

"Die Brücke liegt. Die Brücke liegt schon lange Zeit. Die Brücke liegt über einem Fluss. Unter der Brücke fließt es. Unter der Brücke fließt immer schon das Wasser hinweg. Über die Brücke führt eine Straße. Auf ihr überqueren Menschen den Fluss. Oder Fahrräder. Autos. Lastwagen. Auch Tiere laufen über die Brücke. Zum Beispiel die Mäuse. Aber die Rehe nicht. Die fürchten sich vor der Luft zwischen der liegenden Brücke und dem fließendem Wasser.
Die Brücke liegt und langweilt sich. Das Wasser fließt unter ihr weg und sagt immer dasselbe: "Oh, schon wieder eine Brücke!" Aber ehe die Brücke antworten kann, ist der eine Schwall Wasser weg. Und der nächste Schwall kommt mit demselben Satz. Die Brücke hat es aufgegeben, zu protestieren gegen dieses Vereinfachung "Schon wieder eine Brücke!" Sie ist immer zu spät. Der Schwall Wasser immer schon vorbei. Also liegt die Brücke und schweigt. Sie weiß, dass es eine zweite Brücke wie sie nicht gibt. Jede Brücke ist nur einmal. Den Menschen, die auf der Straße über der Brücke unterwegs sind, kann die Brücke ihre Beobachtungen nicht mitteilen. Sie sind in Maschinen unterwegs, kennen keine Sprache, bedienen sich nur seltsamer Signale wie hupen, klingeln oder kreischen.
Eines Abends vertraut sich die Brücke einer Maus an. Die Maus ist vorsichtig, geht den Menschen und dem Wasser aus dem Weg. Das gefällt der Brücke. Der Maus gefällt es, dass die Brücke immer liegt. Deshalb kommt sie immer wieder."

Dienstag, 23. Februar 2010

Zeitungsblatt 2

Ich zitiere einen zweiten Satz aus der Zeitung: "In der Steueroase Zug sind deswegen an der Bahnhofstrasse 7 angeblich 194 Firmen untergebracht."
Mit "deswegen" will der Schreiber unterstreichen, das geht aus dem Kontext hervor, dass Holdingstrukturen eine von vielen üblichen "Steueroptimierungsformen" seien.
Sein "angeblich" hingegen deutet auf lausige Recherche. Entweder sind an der Bahnhofstrasse 7 einhundert-vierundneunzig Briefkästen angebracht oder nicht. Entweder funktionieren diese Firmen über genormte Briefkästen oder nicht. Da muss man sich ein bisschen anstrengen und vielleicht etwas Phantasie walten lassen. Auch virtuelle Briefkästen lassen sich aufspüren. Klamme Finger hin oder her.
Weiter rechnet der Artikel vor, jede dieser Firmen verfüge, teilte man die vorhandene Gesamtfläche brüderlich auf, über eine Bürofläche von 3,2 Quadratmetern. Und kommt zum verblüffenden Schluss, dies reiche "höchstens je für eine Personaltoilette".

Ich sehe das aus der Ferne anders. 3,2 m² reichen vollkommen für die neueste Computeranlage, einen ununterbrochen quasselnden AB sowie die über eine Zeituhr gesteuerte Kaffeemaschine, die in regelmäßigen Abständen den für die Zuger Breitengrade richtigen Arbeitsgeruch in die Flure verströmt.

Montag, 22. Februar 2010

Die Ohrenlerche

In der Nacht sind wieder 20 Zentimeter Schnee gefallen. Trotzdem halten sich derzeit nach Auskunft des Nationalparks rund 5000 Ohrenlerchen im Wattenmeer auf. In so großer Zahl, weil sie nur in Schwärmen auftreten.
Die Ohrenlerche ist etwa so groß wie die Feldlerche. Sie trägt einen schwarzen Kehllatz und eine gelb-schwarze Stirnbinde, die in die typischen Federohren übergeht. Im Winter ist ihr Gefieder blass wie die Gesichter der Menschen. Auch ihre Ohren stellt die Ohrenlerche in der kalten Jahreszeit nur selten auf. Sie liebt quellerreiche Salzwiesen mit Schafbeweidung. Mit ihren fünf Zentimeter langen Beinchen flirrt sie über die Spülsäume und sucht angeschwemmte Samen. Sie springt vor Begeisterung immer wieder aus dem Stand bis zu 30 Zentimeter hoch.
Im Vergleich zur Körpergröße müsste ein Mensch entsprechend aus dem Stand mehr als fünf Meter hoch springen, rechnet mir W. in der Früh vor. Dann kommt das Taxi und bringt ihn zum Bahnhof auf den ersten Zug nach Hamburg.

Sonntag, 21. Februar 2010

Fensterblatt 2

Auf den Feldern vor Büsum liegen ausgehungerte Schwäne. Sie sterben langsam. Unter Schnee und Eispanzer finden sie schon lange kein Futter mehr. Zwischen Österdeichstrich und Westerdeichstrich werfen die Kohlbauern Kohlblätter auf die Felder. Das tun sie immer, um die Vögel daran zu hindern, die Wintersaat aus dem Boden zu picken. Naturschützer sehen die Winterfütterung von Zugvögeln kritisch und berufen sich auf die natürliche Auslese. Durchgefütterte Tiere, sagen sie, würden sich gewöhnen und bleiben, statt wegzuziehen.
Entkräftete Höckerschwäne kommen aber nicht mehr weg. Sie robben nur noch über den Schnee und können sich nicht mehr erheben. Der eigene Körper ist zu schwer für sie. Irgendwann bleiben sie nur noch apathisch sitzen, bis sie tot sind.
Auch Wattvögel haben es diesen Winter besonders schwer. Brandgänse, Pfeif- und Stockenten, Austernfischer, Große Brachvögel sowie Sturm- und Silbermöwen trotzen der Kälte. Ein Biologe von der Schutzstation Wattenmeer meint, wenn sie sich nicht mehr wohl fühlten, wären sie längst weg. Denn: „Nach sehr strengen Frostnächten und erneutem Schneefall kann man immer wieder Tage erleben, an denen viele Vögel den Überwinterungsversuch abbrechen, eine regelrechte Winterflucht zeigen und nach Südwesten abziehen.“
In milden Wintern überwintern im Wattenmeer bis zu 600.000 Vögel, in Eiswintern nur etwa 100.000 oder weniger. Zu den „winterharten“ Tieren gehören auch einige kleine Singvögel wie Ohrenlerche, Schneeammer und Berghänfling. Sie kommen aus nordischen Tundra-Regionen und haben sich offenbar auf das Überwintern an Meeresküsten spezialisiert.
Unser Hausfasan lebt noch. Ich habe ihn zwar lange nicht mehr zu Gesicht bekommen, so scheu ist er, aber seine Spuren beim Schneeschaufeln rund ums Haus herum erkannt.

Samstag, 20. Februar 2010

Fensterblatt

Zuerst sah ich dem Schnee im Garten beim Verschwinden zu. Er sinkt in die Erde und hebt sich in die Luft. Anders ist sein schnelles Vergehen nicht zu erklären.
Dann sah ich den Vögeln in den Bäumen beim Aufwachen zu. Sie flattern aufgeregt herum und stürzen sich sofort auf jeden schneefrei gewordenen Platz im Rasen.
Dann sah und hörte ich dem Wind beim Wolkenschieben zu. Die Sonne kommt zum Vorschein. Der Wind ruht sich an unseren Hausecken aus.
Schließlich schloss die Decke über Norddeutschland sich wieder. Der Wind tobt und wirbelt die Schneeflocken umher. Sie erreichen trotzdem den Boden. Nur die Krähen trotzen bis es dunkel wird dem Samstag auf dem Dach des Nachbarn.
Heute fiel doppelt so viel Schnee wie seit gestern geschmolzen war.

Freitag, 19. Februar 2010

Zeitungsblatt

Ich zitiere einen Satz aus der Zeitung: "So sind nach Berechnungen eines Netzwerks für Steuergerechtigkeit 11 500 000 000 000 US-Dollar Privatvermögen in sogenannten Steuerparadiesen parkiert. "
Es muss sich, wir merken es sofort, um eine Schweizer Zeitung handeln. Jede Deutsche Zeitung schriebe "geparkt" statt "parkiert". Aber darum geht es mir nicht. Ich grüble seit dem frühen Morgen an den Nullen herum. Und komme auf keinen grünen Zweig. Wie groß ist die nicht in Worten benannte sondern nur bezifferte Zahl in der Zeitung? W. kommt nach Hause und hilft mir. Aus dem Stand, aus dem Kopf : Elftausendfünfhundertbillionen.
Davon seien, lese ich weiter, 70 -90 % unversteuert. Und: ein geringer Anteil, nämlich "nur" (meine Hervorhebung) 500 Milliarden stammten aus Ländern der Dritten Welt.
Unter dem Strich bedeutet dies: Der Dritten Welt geht durch Steuerflucht mehr Geld verloren, als ihr durch Entwicklungshilfe zufließt. Also kann auch fleißigstes Spenden aus sauberen Hochpreisländern kein Gewissen mehr beruhigen.

Mittwoch, 17. Februar 2010

Kalenderblatt 2

Auf Deutschland liegen derzeit 210 Milliarden Tonnen Schnee. Auf der Erde leben 7 Milliarden Menschen. Wenn jeder einzelne Mensch 30 Tonnen Gewicht, also etwa einen beladenen LKW, in die Höhe stemmt, entspricht das der Menge Schnee, die derzeit auf Deutschland liegt.
Das Problem ist nur, dass es so viele Dreißig-Tönner gar nicht gibt. Die sieben Milliarden Menschen aber, rechnet mir mein persönliches Mathematikgenie vor, könnten sich bequem auf der Gesamtfläche Deutschlands (357'027 km²) aufstellen, würde man Berge, Täler, Flüsse, Seen mit der Messerklinge flachdrücken zu einem einzigen Wattenmeer. Und es bei Ebbe trockenfallenlassen.

Dienstag, 16. Februar 2010

Schneeblatt 3

So sieht der glücklichste Mensch der Erde aus.
Nachdem ich beim Finanzamt einen Packen Papier abgegeben hatte, fuhr ich zu meinem Lieblingsladen.
Und siehe da, auf Nilsson ist immer Verlass. Ich bekam 12,5 kg Streusalz inkl. Eimer. Mehr passte nicht auf mein Fahrrad. Vor ein paar Tagen hatte mir A. mit dem Auto 25 kg Basaltsplit gebracht. Mit dem Winter ist es wie mit Schuhen: nur auf eine solide Sohlen-, bzw. Bodenbeschaffenheit kommt es an. Meinetwegen kann er noch ewig dauern.

Montag, 15. Februar 2010

Schneeblatt 2

So sieht der Eingang zur anderen (halben) Garage aus. In ihr überwintern vier unserer Fahrräder. Den Zugang zu ihnen schaufle ich regelmäßig frei. Großzügig und bis zur Straße. Optimisten, lese ich, werden weniger krank. Ich glaube daran, dass die Fahrräder eines Tages wieder an die frische Luft und unter die blendende Nordseesonne kommen.

Schneeblatt

So sieht meine Wäscheleine im Winter aus. Den hinteren Zugang zur einen (ganzen) Garage schaufle ich regelmäßig frei.

Sonntag, 14. Februar 2010

Kalenderblatt

So sah das heutige Kalenderblatt in unserer Küche aus.
Ich durfte es vorzeitig abreißen und hier einkleben. Andächtig, wie früher die Sprüche in das Poesiealbum.
Die Chinesen schlafen bereits, ihr Neujahrstag ist um.

Schneidender Polarwind

Heute beginnt das chinesische Jahr des Metall-Tigers. Zur Verwegenheit des Tigers gesellt sich die Schärfe des Elements Metall. Verglichen mit dem gestern zu Ende gegangenen Jahr des Büffels, der von Natur aus träge ist und entsprechend Disziplin und Geduld verlangt, werden nun die Zeiten unruhig und aufregend. Die Astrologen versprechen heftige Stürme aller Art. Poetisch ausgedrückt, war das Jahr des Büffels ein "gefühlter Monsun" - das Jahr des Tigers hingegen wird ein "schneidender Polarwind".
Wir am Wattenmeer spüren den schon seit mindestens zwei Monaten.
Risikobereiten verheißen die chinesischen Astrologen Turbulenzen wie emotionale Achterbahnfahrten oder abenteuerliche Transaktionen auf dem Finanzmarkt. Asiaten sind bodenständig veranlagt und reden nicht lange um gewisse Breie herum. Bestimmt wird es, ihrer Ansicht nach, zum endgültigen Crash des "hochlukrativen Vermögensverwaltungsgeschäfts" auf helvetischem Boden kommen. Denn der Tiger hat viel Energie, ist erfolgsorientiert und mutig. Er ist im positiven Sinne jederzeit zu entschlossenem Durchgreifen und Umsetzen bereit. Er ist der geborene Anführer und kein Musterschüler!

In China wird heute nicht nur das Neujahr gefeiert. Es werden auch die Träume der Zukunft beschworen.
Es soll Glück bringen, Fenster und Türen während der Feierlichkeiten sperrangelweit geöffnet zu halten, um das ganze Glück während des ganzen Festes herein zu lassen. Wir am Wattenmeer lassen das aufgrund der klimatischen Verhältnisse (Schneegestöber, schneidender Polarwind) schön bleiben. Es soll auch Glück bringen, alle Lichter in der Nacht brennen zu lassen, um dem Glück den Weg ins Haus zu leuchten und böse Geister abzuschrecken.
Unglück hingegen bringt es, wenn man während der Neujahrestage neue Schuhe kauft. Zum Glück ist heute Sonntag und der Schuhladen der Schuhfrau in Menznau geschlossen. Morgen ebenso, glücklicherweise auch die ganze nächste Woche - im Luzerner Hinterland wird Fasnacht gefeiert! Vorsichtigerweise rate ich, die nächsten Tage keinen einzigen Blick in mein Schuhbuch zu werfen. Unglück bringt es auch, sich die Haare während der Festlichkeiten zu schneiden.
Das chinesische Unglück ist aus Sprache gemacht: das Wort Schuh (xiézi) ist homophon zum hochchinesischen Wort für schlecht, böse und ungesund (xié). Das Wort Haar (fà, meint eigentlich das, was sich auf dem Kopf entwickelt) ist homophon mit dem Wort für Wohlstand (fā - gleiches Zeichen wie für Haar, aber anderer Ton, meint alles, was sich positiv entwickelt, im Besonderen den Kontostand). In chinesischen Köpfen herrscht die Vorstellung, dass man sich den Wohlstand wegschneidet, wenn das Kopfhaar gekürzt wird. Eine schöne Vorstellung, dass mit dem Haar auch das Guthaben auf der Bank wächst.

Das chinesische Jahr des Tigers dauert vom 14. Februar 2010 bis zum 2. Februar 2011. Ich wünsche nicht nur den Tigern unter meinen Bekannten (u.a. meiner Mutter und meinem polnischen Meister) viel Erfolg, viel frischen Wind um die Nase und geschärfte Sinne bei allen Abenteuern.

Samstag, 13. Februar 2010

Freitag, 12. Februar 2010

Maulwurfsfingernägel

Tamino heißt der Kater von M. Mit M. studierte ich in Basel Germanistik. M. berichtet und berichtigt, Maulwurfsfell sei seidig. Tamino habe im letzten Sommer einen Maulwurf heimgebracht. Lebend. Unverletzt. Und weiter schreibt M.: "Neben seinem seidigen anthrazitfarbenen Fell fielen die Fingernägel auf: Lange, schmale Nägel wölben sich über zarte, rosafarben durchblutete Fingerglieder. Die Nägel durchsichtig und ohne Kratzer, wie manikürt." Sie setzten den Maulwurf wieder aus [auch ich würde ihn, nachdem ich sein Fell berührt hätte, sofort wieder aussetzen]. Am Rande des Gartens. Und sperrten derweil Tamino ein. Der Mauwurf grub sich nach wenigen Schritten in die Erde.

Donnerstag, 11. Februar 2010

Zahn der Zeit

Man kann sich alles mögliche brechen in diesen Tagen. Hamburgs Krankenhäuser sind, wie gemeldet wird, am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angekommen. Zu den 19 Notfallkliniken stiegen heute zusätzlich vier Spezialkliniken "in die Knochenbruch-Versorgung ein", wie es heißt. Innerhalb von 24 Stunden sammelt die Feuerwehr mehrere Hundert Patienten nach Stürzen ein - das sei sonst nur an Silvester so, sagt ein Feuerwehrsprecher.
Aber das ist auch wegen der grünen Stadtregierung so, die beharrlich die Verwendung von Auftau- und Streusalz verbietet.

Und ich beiße in meiner Hütte am Wattenmeer auf ein Stück altes Brot und breche mir einen Zahn ab. Das ist wegen meiner helvetischen Erziehung so. Altes Brot wird vor dem frischen gegessen, wurde mir beigebracht. Und Brot überhaupt nie weggeworfen. Deshalb ist das Frische immer Alt, bis das Alte aufgegessen ist. Wolfgang lacht mich deswegen schon seit 194 Monaten und einem Tag aus. Ich habe nun einen halben Zahn nicht mehr im Mund, sondern im Magen (wo er nicht bleiben wird) und muss morgen zum Zahnarzt.

Mittwoch, 10. Februar 2010

Blitzbesuch

Dieser bunte Fasanenmann stochert schon seit Wochen um unser Haus herum. Auf der vergeblichen Suche nach Nahrung. Auch er versinkt mittlerweile bis zum Bauch im Schnee. Unsere Mittagstafel ist vereist.
Aber es soll FasanOmate geben. Fasanfutterautomaten mit 46 L Vorratsbehälter.
Und der Kreisjägermeister von Buxtehude ruft wegen des anhaltenden Winterwetters die "Notzeit" für Rebhühner und Fasane aus. Weil die Tiere zurzeit wenig Nahrung finden, legen die Jäger in ihren Revieren Futter für die Vögel aus. Normalerweise, berichten Mitarbeiter des Forstamtes Harsefeld, ernähren sich Rebhühner und Fasane von Getreide und Insekten, die sie auf den Feldern finden. Die gefrorene Schneedecke erschwere oder verunmögliche seit Wochen die Nahrungssuche. Jetzt füllen Jäger die sogenannten "Schütten", überdachte Nahrungsdepots an den Rändern der Felder, mit Getreide auf. Spaziergänger sollten die Vögel nicht füttern, heißt es, denn das Futter müsse von Fachleuten an besonderen Plätzen deponiert werden. Klar. Sonst locke es nur Raubvögel wie Habichte an. Ja, und? Die sind auch hungrig.
In meinem Wintergarten bin ich Kapitän, wie das Sprichwort sagt. Jedenfalls keine Spaziergängerin. Ich werde ein trockenes Plätzchen finden für meine extra körnigen Frühstückshaferflocken. Etwas anderes habe ich im Moment leider nicht anzubieten. Morgen lauf ich übers Eis in den Bioladen und kaufe Weizen-, Gersten- und Maiskörner.

Dienstag, 9. Februar 2010

Schneeschuh

Ich bin im Winter zurück. In der Nacht hat es angefangen zu schneien und es hört nicht mehr auf. Der Himmel zeigt sich nicht. Er weiß schon, warum.
Wir versinken mit unseren Füßen und Händen.
Ich versinke mit meinen Gedanken.
Ich blättere in einem Mitbringesel, dem Geschenk eines Antons, aber eines ganz anderen: "Conchylien - Hartschalige Schätze aus dem Meer". Lese vom Giftapparat einer Kegelschnecke, vom Verdauungsapparat eines Napfschalers, von den tablettenförmigen Aragonit-Kristallen in der Perlmuttschicht der Seeohren.

Samstag, 6. Februar 2010

OrtSchuh

Heute: Vernissage und Lesung „Lebensgeschichten in Worten und Bildern“:
· Daniela Glauser zeigt neue Acrylbilder
· Judith Arlt liest aus "Die Fölmlis. Eine Schuhmacherfamilie"
· Andreas Gerber vom Atelier für Körpermusik präsentiert wunderbare Klänge

Samstag 6. Februar, 15.00 h
Atelier Arkasia, Bohnygasse 6, 4460 Gelterkinden
Weitere Infos: http://www.arkasia.ch/ und http://www.koerpermusik.ch/

Freitag, 5. Februar 2010

Menznau - Huttwil

Ich fahre im Führerstand. Der Lokomotivführer hat mich eingeladen und erklärt mir die Signale. Er strahlt bei der Arbeit genauso wie ich sein Strahlen bei der Arbeit beschrieb, eh ich ihn arbeiten sah.
Produktionsliteratur nennt die Literaturwissenschaft das.
Rückverwandlung einer fiktiven Figur ins wirkliche Leben nenne ich das.

Donnerstag, 4. Februar 2010

SchuhWort

«Es gab immer Schuhe, die von einem
Ort an den anderen getragen werden
mussten. Sie hielten jeden Tag Schuhe
in den Händen. So, wie andere Holz
in den Händen hielten. Oder eine Mist-
gabel. Den Reisigbesen.»

Begegnung mit Judith Arlt und ihrem Buch
«Die Fölmlis – Eine Schuhmacherfamilie»

Mittellos, arbeitslos und heimatlos – ganz am Anfang steht die Geschichte einer Migration: Johann Fölmli und seine Familie müssen ihren Hof in Willisau-Land verlassen und sich anderswo eine neue Existenz aufbauen. Die Familie lässt sich in Menznau nieder – und die Fölmlis werden Schuhmacher.
Einfühlsam und mit grosser Sorgfalt erzählt Judith Arlt diese wahre Familiengeschichte aus dem Luzerner Hinterland, vom Grossvater Anton Fölmli, der als Störschuhmacher im Napfgebiet unterwegs war, bis zur Enkelin Frieda, die ihr Ladengeschäft heute als Schuh- und Kulturort führt.

Das Gespräch mit Judith Arlt und Frieda Fölmli führt Luzia Stettler, Redaktorin von Schweizer Radio DRS.

Donnerstag, 4. Februar 2010, 19.00 Uhr, stattkino, Bourbaki Panorama Luzern
Anschliessend Apéro in der Stadtbibliothek.

Eintritt: Fr. 10.–

Weitere Infos: www.hirschmatt.ch oder www.bvl.ch

WortOrt

DRS 1: 14.05-14.40 WortOrt: Luzia Stettler bei den Fölmlis in Menznau.
«WortOrte» sind mit Wörtern verbunden, sie erzählen eine Geschichte.
An «WortOrten» spielen Worte die Hauptrolle. Es geht um Schauplätze und ihre Geschichten, um solche, die aufgeschrieben oder mündlich weiter gegeben worden sind.
Ein «WortOrt» regt an, lädt zum Nachdenken oder gar zu einem Besuch ein.
Die Sendung ist hier nachzuhören:
http://www.drs1.ch/www/de/drs1/sendungen/wortort/125062.sh10116875.html

Föhnloch

Ich erwache in Flughafennähe mit einem schmerzenden Handgelenk. Das habe ich mir so eingerichtet: dass ich zu Fuß zu meinem Flugzeug komme und auf keinen Bus und keine Bahn angewiesen bin. Auf keine Stellwerkstörung, keine eingefrorene Oberleitung. Das Wetter hatte ich in meiner klugen Planung berücksichtigt. Nicht aber die Bodenbeschaffenheit. Haftung und Reibung von Winterschuhsohlen. Hamburgs spiegelglatte Gehwege. Die Maus in der Sendung mit der Maus erklärte einmal, warum wir auf Schnee und Eis ausrutschen: Weil Eis und Schnee von einer hauchdünnen, kaum sichtbaren Wasserschicht überzogen sei. Weil diese Wasserschicht, wenn wir in diesem Jahrhundertwinter in der Stadt mit dem Gepäck in der Hand über das Eis oder den Schnee taumeln, durch die Wärme, die durch die Reibung mit unseren Schuhen entsteht, dicker wird. Und darauf, auf dieser dicker gewordenen Wasserschicht rutscht es sich prima.

Ich hätte mit gebrochenem Handgelenk im Krankenhaus landen können, lande aber mit einer Viertelstunde Verspätung in Basel im herrlichsten Sonnenschein. Der Föhn vertreibt den Schnee aus den letzten Ecken des Landes.

Mittwoch, 3. Februar 2010

Sankt Blasius

Heute ist das Wetter gemischt. Sonne wechselt sich ab mit Schnee. Was sagt der Bauernkalender dazu?
"Sankt Blasius ist auf Trab und stößt dem Winter die Hörner ab." Mit dem Reim ist das immer so eine Sache.
Oder: "Sankt Blasius und Urban ohne Regen, folgt ein guter Erntesegen." Mal sehen wie das wird, Sankt Urban ist erst am 25. Mai.

Dienstag, 2. Februar 2010

Lichtmess

Bei uns stürmt und schneit es den ganzen Tag.
Ein Blick in den Bauernkalender lässt mich hoffen:
Zum Beispiel: "Ist's zu Lichtmess mild und rein, wird's ein langer Winter sein." Das ist es nicht.
Oder: "Lichtmess im Klee, Ostern im Schnee." Auch nicht.
Oder: "Mariä Lichtmess bläst das Licht aus, Sankt Michael (29. September) dann zündet's wieder an." Versteh ich nicht ganz.
"Sonnt sich der Dachs in der Lichtmesswoche, bleibt er vier Wochen noch im Loche." Na dann!
Oder klar und deutlich so: "Wenn's zur Lichtmess stürmt und schneit, ist der Frühling nicht mehr weit; ist es aber klar und hell, kommt der Lenz noch nicht so schnell."

Montag, 1. Februar 2010

Das Vermögensverwaltungsgeschäft

Neuer Monat, neue Wörter. Kürzlich las ich ein Interview mit Herrn Wellershoff, dem Ex-UBS-Chefökonom. Mich zog nicht der Titel des Mannes an, sondern der Titel des Interviews: "Mit tieferem Wachstum leben."
Seither zermartere ich mir das Hirn, was Tieferes Wachstum bedeuten soll. In Deutschland redet man gerade unablässig von einem "Wachstumsbeschleunigungsgesetz". Je mehr darüber geredet wird, desto weniger kann ich nachvollziehen, wie Wachstum per Gesetz beschleunigt werden soll. Ich dachte immer, Wachstum strebe von Natur aus nach Höherem. Aber warum rät Herr Wellershoff, mit tieferem Wachstum zu leben? Ist er plötzlich ein Rebell? Antizyklisch eingestellt?
Außerdem sagt Herr Wellershoff, die Schweiz müsse "aufpassen, dass sie das hochprofitable Vermögensverwaltungsgeschäft nicht zu Tode reguliert." Angesichts des neuesten Datendeals eine dreiste Wortwahl. "Hochprofitables Vermögensverwaltungsgeschäft" nennt man also unter Insidern das, was für Juristen vielleicht unter den Begriff der Begünstigung (im Fall von Steuerhinterziehung), der Mittäterschaft (Haitis Staatspräsident soll auch ein Konto bei der UBS haben - und wer hatte und hat ein solches nicht von all den Helden und Schurken und Diktatoren unserer Welt?) oder der Hehlerei (no comment, lange Tradition) fällt.
Antizyklisch, Herr Wellershoff, Antitypisch. Sie sind ein Auslaufmodell. Die Schweiz reguliert nicht ihr hochprofitables Vermögensverwaltungsgeschäft zu Tode, sondern verliert gerade ihr Gesicht.