Mittwoch, 24. August 2016

Morgenflut

Man stelle sich eine deutsche Familie vor mit vier Kindern im Alter von 3 bis 9, die um 8 Uhr den Zug nach Irgendwo nehmen müssen, weil sie eine unaufschiebbare Sache erledigen müssen.
Auf Hooge wohnt eine afghanische Familie mit vier Kindern im Alter von 3 bis 9. Sie müssen heute früh um 8 Uhr die Fähre nehmen, weil sie einen wichtigen Termin auf dem Festland haben. Bis zum Anleger brauchen sie zu Fuß mit dem Kleinen auf dem Arm oder im Kinderwagen mindestens 20 Minuten. Ich klopfe um 7:15 Uhr an ihre Wohnungstür. Die Mutter öffnet. Die Stille in der Wohnung lässt mich vermuten, dass der Rest der Familie noch schläft. Die Mutter lacht und sagt, ja, ja. Komm herein! Teetrinken! Nein, nein, sage ich, dazu ist jetzt nicht die Zeit. Steht ihr mal auf!
Damit ist mein Auftrag erfüllt und ich fahre, weil der Morgen so schön ist, zum Landsende. Ich habe vor mir einen Tag am Schreibtisch mit Wattrinnen und Treibsandteppichen für mich allein. Mit Wasser habe ich um diese Morgenstunde nicht mehr gerechnet, bin aus dem Gleichklang der Tide gefallen durch einen einzigen Kopfschütteltag. Ich habe kein Handtuch dabei. Aber das macht jetzt auch nichts mehr, denke ich und stelle mir keine deutsche Familie vor mit vier Kindern im Alter von 3 bis 9 ... , sondern ziehe mich aus und springe in die Nordsee.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen