Dienstag, 1. April 2008

Die Lampenschirmerzeugung

Kürzlich in Wien sind W. und ich tage- und nächtelang nur Straßenbahn gefahren. Wir wollten etwas sehen und erleben. Wir waren wieder in einer angeschriebenen Welt angekommen. W. kann nicht an Wörtern vorbeigehen oder -fahren, ohne sie zu konsumieren – zu lesen, zu entziffern, zu befragen, zu kommentieren. An den Häuserwänden, auf Firmenschildern und Reklametafeln tauchten dann freundlicherweise unendlich viele meiner Lieblingswörter auf: die Komposita, landläufig zusammengesetzte Substantive genannt.

Ich beschränke mich hier auf zwei Prachtexemplare. Als die 46 eines Nachmittags längere Zeit vor einem Frisörsalon stehen blieb (es war Karfreitag, Stau auf einer Kreuzung mitten in Wien, ein Hagelgewitter ging gerade nieder) entdeckte W. auf dem Schaufenster über den Perücken große gelbe Buchstaben, die sich zum Wort „Wimpernverlängerung“ vereinten. Ungefähr in der gleichen Sekunde entdeckte ich auf der anderen Straßenseite den steilen altertümlichen Handschriftzug „Lampenschirmerzeugung“ über einem gänzlich blinden und undurchsichtigen Schaufenster. In der Nacht hätten wir weder das eine noch das andere Wort finden können. Denn weder das eine noch das andere war, das konnten wir deutlich sehen, an den Strom angeschlossen.

W. wollte von mir wissen, wer sich denn die Wimpern verlängern lasse.
Ich wollte von ihm wissen, wer sich denn Lampenschirme erzeugen lasse.

Wir kamen nicht vom Fleck. Draußen blitzte und donnerte es. Und die Welt verfinsterte sich. Karfreitag soll der stillste Tag im Kirchenjahr sein, hatte ich einmal gelernt. Oder ist es Karsamstag? In Wien waren zum Glück Freitag und Samstag alle Geschäfte geöffnet. Wir mussten uns dringend einen Regenschirm besorgen.

Die Frauen, antwortete ich ihm.
Aber wozu denn, fragte er.
Um euch Männern schöne Augen machen zu können.

Die Frauen, antwortete er mir.
Aber wozu denn, fragte ich.
Um mit uns Männern darunter schöne Abende verbringen zu können.

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