Freitag, 30. Oktober 2009

Warschauer Intermezzi

Die Weltreise war zu schön ausgedacht.

Niemand besingt Warschau so wie ich. Deshalb lässt Warschau mich so einfach nicht ziehen.

Schon am Montag wartete ich 100 Minuten auf dem kalten Bahnsteig am Warschauer Hauptbahnhof auf den Zug nach Krakau. Ich hatte mir zwei Stunden Zeit gelassen, um meinem Meister die Hand zu drücken und ihm ein Namenstagsgeschenk zu überreichen. Danach kaufte ich eine Fahrkarte für die schnellste Verbindung. Zuerst kam die Durchsage "... verspätet sich um 20 Minuten ...". Und "opóźnienie może ulec zmianie" - ein in seiner Poesiefülle und Logikleere unübersetzbarer Satz. Ich kenne ihn seit vielen vielen Jahren, er ist mir so vertraut, wie eine zweite Haut. Dann kamen in regelmäßigen Abständen scheppernde, schleppende Bekenntnisse "... um 30...", "... um 50 ...", "... um 70...", "... um 90 ...". Anfangs waren die Polen, die nach Krakau fahren wollten, alles unverwüstliche Optimisten, noch bester Laune. Sie lachten und scherzten lauthals über alle ein- und ausfahrenden Schnellzüge, Intercitys und Regionalbahnen hinweg. Unüberhörbar. Aber irgendwann blieben auch ihnen die glucksenden Laute im Hals stecken. Stille machte sich breit. Etwas Schweres. Drückendes. Lethargie. Etwas Steifes, Erstarrendes, das nicht nur mit der Kälte oder der Tatsache, dass sich alles unterirdisch abspielte, zu tun hatte.
Heute sitze ich 125 Minuten am Chopin-Flughafen. Mit einem polnischen Mittagessen im Bauch, gespendet von Austrian Airlines. Und einem Warschauer Abendrothimmel vor Augen, gespendet wahrscheinlich von Nazars ACH DU LIEBERHERR GOTT NOCH MAL. Und immer wieder in diesen Himmel steigende Flugzeuge. Nirgends auf der Welt ist der Himmel am Vorabend von Zaduszki [Allerheiligen, Allerseelen] so schön wie hier. Der Nachmittagsflug nach Wien wurde "gestrichen". Because of technical problems. Das sagen sie immer, tröstet mich W. vom Wattenmeer, als ich ihn in meiner Verzweiflung aus seiner Vorlesung klingele. Ich komme heute nicht mehr zu meiner Schuhmacherin. Das ist das Traurigste an diesem Intermezzo, an dieser Weltreise inter ruptus oder eher inter regio. Die Zeit und die Kraft reicht gerade, dass ich, so LIEBERHERR GOTT NOCH MAL erlaubt, kurz vor Mitternacht in Allschwil bei meiner Schwester ins Bett falle.

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