Sonntag, 20. Juni 2010

Präsidentschaftskandidatenleben

Die Polen haben gewählt und werden am 4. Juli in einer Stichwahl nochmals wählen. Land und Leute sind gespalten, darüber kann nichts hinwegtäuschen. Auch der Alabastersarkofag auf dem Wawel nicht. Im Gegenteil - diese neue Pilgerstätte vertieft den Graben zwischen Polen und Polen.

Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, was sich fast die Hälfte der Polen von Kaczyński 2 (Jarosław) als Präsidenten verspricht.
Kaczyński 1 (Lech) ist tragisch ums Leben gekommen. Es ist nicht ganz auszuschließen, dass er in den letzten Minuten seines Lebens sein Amt ungeschickt handhabte. Der Präsident der Volksrepublik Polen ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Man weiß, dass Kaczyński 1 diese Position vor den Militärpiloten im Cockpit seiner Regierungsmaschine gerne betont hatte. Und es ist auch nicht ganz auszuschließen, dass Kaczyński 2 Kaczyński 1 bei dieser Unschicklichkeit unterstützt hatte. Man weiß, dass der Präsident sich täglich mit seinem Zwillingsbruder beriet. Auch auf dem Todesflug, während des Landeanflugs, etwa eine Viertelstunde vor dem Absturz. Soll sich Lech über Satellitentelefon bei Jarosław nach dem Gesundheitszustand der schwerkranken Mutter erkundigt haben. Aber darüber hatte ihn bereits der diensthabende Leibarzt aus der Warschauer Klinik in einem früheren Telefonat informiert. In einer der ersten Pressemeldungen nach der Katastrophe wurden die letzten Worte des toten Präsident an seinen Zwillingsbruder sinngemäß so widergegeben: "Alles in Ordnung, wir landen gleich". Nach heutigem Kenntnisstand (die Cockpitgespräche wurden in der Zwischenzeit veröffentlicht) dürfte diese Meldung so viel mit der Wahrheit zu tun zu haben, wie die Gebete der Piloten, mit denen die Aufzeichnungen aus dem Cockpit nach ersten Berichten geendet haben sollen.

Was erwarten die Polen von einem Präsidenten Kaczyński 2? 18 Gesetze verhinderte Kaczyński 1 während seiner viereinhalbjährigen Amtszeit durch das präsidiale Veto, ein gutes Dutzend weiterer Gesetze des reformwilligen Parlaments mit Hilfe des Verfassungsgerichts. Man kann das hier in Polnisch im Detail nachlesen: http://wyborcza.pl/portrety/1,105874,7811240,Prezydent_Polski_solidarnej__Gospodarczy_bilans_Lecha.html.
Natürlich war die Regierung Tusk unter solchen Umständen zur Untätigkeit verdammt.
Natürlich kann man ihr das heute wunderbar vorwerfen.
Und natürlich will der Kaczyński-Clan (Zwillingsbruder, Tochter, Schwiegersohn) die Mission des toten Präsidenten zu Ende führen.

Nur: welche Mission?
Und: zu welchem Ende?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen